Ein Interview mit Susanne Wiest aus dem Jahr 2017.
Damals war Susanne, Bundesvorsitzenden der neu gegründeten Partei „Bündnis Grundeinkommen“, die sich für die Wahl in den Deutschen Bundestag bewarb.
Zum Ende des Jahres 2008 startete die Tagesmutter Susanne Wiest eine Petition zum Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“ an den Deutschen Bundestag. Der Hintergrund: Ihr spärliches Einkommen war aufgrund neuer gesetzlicher Bestimmungen nochmals dezimiert worden, so dass sie davon immer weniger leben konnte. Wiests Online-Petition erzeugte eine fulminante Resonanz: Die Server des Bundestages brachen zusammen, über 50.000 Menschen stimmten innerhalb weniger Tage für die Petition. Eine Überraschung auch für Susanne Wiest, die bisher genauso wenig mit dem Internet am Hut hatte wie auch damit, sich politisch zu involvieren. Schließlich konnte sie ihr Anliegen im November 2010 persönlich im Deutschen Bundestag vortragen. Ihr Thema zog weite Kreise: Erst im Jahr 2013 wurde der Vorgang abgeschlossen mit der Empfehlung des Petitionsausschusses an den Bundestag, die Petition abzulehnen.
Doch Susanne Wiests Engagement für ein Bedingungsloses Grundeinkommen ging beharrlich weiter – mit einer wachsenden Anzahl an weiteren Aktivist*innen. Im Herbst 2016 gründet sich die neue Partei „Bündnis Grundeinkommen“ aus der deutschen Bewegung zum Grundeinkommen. Die Partei machte sich dafür stark, auf die Wahlzettel zur Bundestagswahl zu gelangen, damit das Bedingungslose Grundeinkommen für alle wählbar wird . Susanne Wiest wurde zur Bundesvorsitzenden dieser Partei gewählt und stand auf Listenplatz 1 der Landesliste für Mecklenburg-Vorpommern.
Zum Beginn der Corona-Krise ist Susanne Wiest mit eine neuen Petition zum Grundeinkommen gestartet. Schon längst ist klar, dass die Petition ihr Ziel von 50.000 Stimmen erreicht hat. Weit mehr als 170.000 Menschen setzten sich bis Sonntag, 26.04.2020 dafür aus, dass diese Petition im Deutschen Bundestag behandelt wird.
Nun sind wir gespannt auf die Debatte und das Ergebnis!
Hier nun das Interview mit Susanne aus dem Jahr 2017:
Wie bist Du auf die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens aufmerksam geworden und was fasziniert Dich daran?
Vor ungefähr zehn Jahren bin ich zufällig im Internet auf eine goldene Karte gestoßen, die mir die Frage stellte, „Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?“. Ich reagierte empört, wer sorgt denn für mein Einkommen? Das ist doch der Stress meines Lebens. Ich liebte meine Arbeit als Tagesmutter, musste mir aber ständig Sorgen darum machen, dass mein Einkommen für den Lebensunterhalt ausreicht. Auch die Familien der Kinder, die ich betreute, verdienten oft zu wenig, so dass ich für die Betreuung nur geringe Summen nehmen konnte. Ein Teufelskreis. Erbost drehte ich also die Karte um und stieß auf die Website der Schweizer Initiative Grundeinkommen. Mir wurde sofort klar, das ist endlich eine kluge, zukunftsweisende Antwort auf die Probleme unserer heutigen Zeit. Die bisherige Antwort aus der Politik auf diese Problematik war stets gewesen, dass wir wieder Vollbeschäftigung erreichen müssen, dabei ist doch klar, dass unsere Entwicklung genau gegenläufig ist. Immer mehr Arbeit wird von Maschinen gemacht.
Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens überzeugte mich also sofort. Das war Liebe auf den ersten Blick.
Du beschäftigst Dich jetzt also seit zehn Jahren mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen – wie hat sich Dein Verständnis dieses Konzepts im Laufe der Jahre verfeinert und verändert?
Je mehr ich mich mit dem Grundeinkommen beschäftigt habe, desto klarer wurde mir: Das Grundeinkommen ist ein Kulturimpuls. Es geht um weit mehr als einen ausgezahlten Geldbetrag, den jeder Mensch in unserem Land monatlich zur Verfügung hat. Das Grundeinkommen wirft die Frage auf „Wie wollen wir zusammen leben ?“. In einer Kultur der Kontrolle, des Misstrauens und der Bevormundung oder lieber in einem Klima von gegenseitigem Vertrauen, Zutrauen und Ermöglichung.
Durch die Auseinandersetzung mit dem Grundeinkommen hat sich auch mein Arbeitsbegriff geweitet. Arbeit ist für mich nicht mehr nur sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit – Arbeit ist viel mehr: Arbeit ist Leben. Arbeit ist eine steile Treppe hoch zu gehen, gesund zu werden, ein Kind zu gebären und beim Aufwachsen begleiten. Arbeit ist ehrenamtlicher Fußballtrainer zu sein oder Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen. Es gibt so viel Arbeit, wie es Menschen gibt. Das meiste wird aber nicht bezahlt. Mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen ziehen wir unserer Gesellschaft einen Boden ein, der alle trägt: es ermöglicht selbstbestimmte Arbeit an gesellschaftlich oder persönlich wichtigen Themen.
Rund um das Jahr 2011/2012 galt die Piratenpartei als Hoffnungsträger, und ihr gelang es in vier Landesparlamente einzuziehen. Doch der Boom verpuffte. Was haben die Piraten falsch gemacht und was wird das Bündnis Grundeinkommen daraus lernen, und es anders machen?
Die Piraten sind auch als monothematische Partei gestartet mit dem Thema der Digitalisierung und ihren Konsequenzen und Möglichkeiten für unser Land und für den politischen Alltag. In diesem Feld, das Angela Merkel als Neuland bezeichnete, waren die Piraten stark. Meiner Meinung nach sind sie dann leider dem Ruf nach einem Vollprogramm auf den Leim gegangen. In meinen Augen ein Fehler, der uns nicht passieren wird. Bündnis Grundeinkommen wird eine Ein-Themen-Partei bleiben. Das ist in unserer Satzung fest verankert. Unser Anliegen ist die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens. Das ist ein so umfassendes Thema, dass es in nahezu alle politischen Bereiche greift und auch unsere gesellschaftliche Grundhaltung verändert. Deswegen werden wir alle Debatten mit dem Blick auf dieses Thema führen und auch unser Abstimmungsverhalten dahingehend ausrichten. Ist das Bedingungslose Grundeinkommen eingeführt, löst sich Bündnis Grundeinkommen wieder auf.
Du hast es eben angesprochen: Das Bündnis Grundeinkommen ist eine monothematische Partei. Wie werdet Ihr dann mit anderen Themen, mit dem vollen Programm umgehen, das Euch zweifelsohne im Bundestag erwarten wird?
Wie schon gesagt, werden wir all unser Agieren auf das Thema Grundeinkommen beziehen.
Wir gehen Schritt für Schritt. Mit aller Kraft arbeiten wir gerade jetzt daran wählbar zu werden. Dafür ist es erforderlich bundesweit 27 678 Unterstützungsunterschriften für die Wahlzulassung von Bündnis Grundeinkommen zu sammeln. Ist das geschafft, steht das Bedingungslose Grundeinkommen – BGE- auf allen Wahlzetteln und ist bundesweit wählbar. Das ist ein erster Meilenstein und ein großer Erfolg.
Eines der größten Fragezeichen hinsichtlich des Bedingungslosen Grundeinkommens ist seine Finanzierbarkeit. Was ist Deine Antwort darauf?
Über bedingte Einkommen verfügen heute nahezu alle BundesbürgerInnen. Das Geld ist also da.
Das was jede und jeder von uns sowieso zum Leben braucht, gewähren wir uns mit dem Grundeinkommen in Zukunft bedingungslos. In erster Linie ist dazu eine Umwidmung nötig: Von der Bedingtheit bestehender Einkommen, hin zur Bedingungslosigkeit. Wie das konkret aussehen kann, dazu gibt es schon viele Überlegungen, Modelle und Berechnungen. Es ist eines unserer Vorhaben im Bundestag diese Fragen im Rahmen einer Enquete Kommission zu bewegen. Aber wie gesagt, momentan sammeln wir die erforderlichen Unterschriften für die Wahlzulassung von Bündnis Grundeinkommen und wir freuen uns dabei über jede Unterstützung.
Vielen Dank für das freundliche Gespräch!
Dieses Interview wurde parallel zu einem Plädoyer für das Bedingungslose Grundeinkommen im Online-Magazin compassioner veröffentlicht – hier zu lesen:
Bedingungsloses Grundeinkommen – ein neues gesellschaftliches Betriebssystem
Der Artikel enthält auch zahlreiche weitere Links