„Woher kommst DU?“ Ich liebe diese Frage. Eigentlich. Denn sie erzählt Deine Geschichte, und ich bin an DIR interessiert, wirklich interessiert. Mich interessiert, woher Du kommst und wie Du den Weg bis hierher erlebt hast. Deine Herkunft ist ein Teil Deiner einzigartigen Geschichte. In ihm ist ein Teil Deines wundervollen, großartigen Potenzials, das Du mit dieser Welt zu teilen hast, geborgen.
Ich möchte Dich und mich erblühen sehen.
Deswegen frage ich Dich.
Ich bin gespannt auf Deine ganz eigene Antwort.
Deine Herkunft. Der Ort, wo Du geboren bist, die Art, wie Du aufgewachsen bist, ob Du arm oder reich warst, ob ein Dorf Dich aufgezogen hat, ob Du Einzelkind warst, wie gebildet Deine Eltern oder Dein Umfeld waren, ob Du als Kind pumperlgsund oder oft krank warst, ob Du sorgenfreie Sicherheit genießen durftest oder in Angst leben musstet, zum Beispiel weil Deine Eltern sich vor Deinen Augen oft stritten, in welcher Rolle Du in der Schule unterwegs warst, Klassenclown oder Außenseiter. Und wie die Geschichte der Eltern Deiner Eltern verlaufen ist. All das hat enormen Einfluss, hat Dich als Menschen geschrieben, Dich fürs Leben geprägt.
Woher kommst Du?
Heute ist diese Frage ist beschmutzt, denn sie wird manchmal-gelegentlich-oft (?) nicht als Frage gestellt oder verstanden, sondern als Urteil, als Unterstellung. Weil der oder die Befragte „anders“ aussieht. Deswegen ist „Woher kommst Du?“ eine Frage, die „man“ heute besser nicht stellt. Sie gehört sich nicht. Weil diese Frage einen Stempel trägt.
Woher kommst Du?
Denn die, denen die Frage schon allzu oft als gefühlte Abwertung gestellt wurde, sind diese Frage Leid. Sie wollen sich nicht länger erklären müssen. Weil die Antwort schon vorher im Raum stand und die Antwort nur noch die Bestätigung des bereits vorher Gemutmaßten ist. Keine Frage. Treffer versenkt.
Woher kommst Du?
Diese Frage ist wie eine kollektive Wunde. Der Ausdruck dessen, dass wir uns allenfalls ein zaghaftes Nebeneinander zutrauen. Ein Nebeneinander, das sich Antworten in Schubladen konstruiert hat und anderen Möglichkeiten keinen Raum lässt. Ein Nebeneinander, dass uns im Status quo verharren lässt.
Wenn DU diejenige oder derjenige bist, für den oder die sich diese Frage wie ein Urteil anhört: Es tut mir Leid, dass diese Frage Dich schmerzt, nervt, langweilt, wütend macht, enttäuscht, in die Ecke drängt oder welche Reaktion auch immer hervorruft. Du hast oft genug Deine Erfahrungen mit dieser Frage gemacht, das „wusste ich es doch“ geerntet oder ein ungläubiges Nachfragen.
Ich möchte Deine Erfahrungen nicht vom Tisch wischen. Sie liegen da und wollen angeschaut und ergründet werden. Woher kommst DU?
Was möchtest Du statt dessen gefragt werden?
Wie darf ich Dir näher kommen?
Wie darf ich Dich kennen lernen?
Was wünschst Du Dir?
Ich bin unbeholfen. Ich weiß es nicht. Sag Du es mir bitte.
Und, weißt Du, auch ich habe einen Wunsch:
Woher kommst Du?
Ich wünsche mir, dass wir diese Frage von der Last, die wir ihr durch unser formelhaftes Nebeneinander auferlegt haben, befreien. Dass wir ihr eigentliches Potenzial entdecken. Sie wieder groß und weit und tief machen. Unbefleckt. Damit wir sie ehrlich, unvoreingenommen, neugierig und frei stellen können. Ich glaube, nicht die Frage ist das Problem, sondern das, was wir aus ihr gemacht haben. Dass wir mit ihr bereits eine Antwort, eine Wertung, eine Schublade verbunden haben.
Ich wünsche mir, dass diese Frage die Tür sein darf, die sie in meinen Augen eigentlich ist:
Die Tür zu einem Teil Deines und meines Universums,
den hellen und den dunklen Seiten.
Sie eröffnet uns, Dich und mich kennen zu lernen in unserer Einzigartigkeit.
Sie ist unsere große Chance.
Kannst Du damit etwas anfangen?
Wie kann uns das gelingen, uns so zu begegnen?