„Wieso? Ich bin doch ein freies Kind!“
Diese Antwort schmetterte mein Sohn Marten Redakteur*innen aus der taz entgegen, als sie sich erkundigten, zu wem er denn gehöre und warum er denn hier so allein herumstromere.
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Als mir Marten später davon erzählte, war ich einerseits stolz und andererseits ein wenig beschämt (hatte ich mich nicht gut genug, um Marten gekümmert, ich Rabenmutter?!? war ich – mal wieder – zu egoistisch gewesen?).
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Die Geschichte dahinter: Damals im Jahr 2014 war ich als Aktivistin eingeladen gewesen in die taz-Redaktion. Das Vorhaben: Ein Wandel-taz sollte entstehen, eine freundliche Übernahme der taz-Redaktion durch unser Wandel-Akteur*innen. Es war das allererste Planungstreffen dafür. Als Mensch, der das Schreiben liebt und der eigentlich Journalismus hätte studieren wollen (wenn ich damals das Selbstbewusstsein und den Mut gehabt hätte), hat mich dieser Termin sooo sehr gelockt. Da wollte ich unbedingt mit dabei sein!! Redaktionsluft schnuppern. Heilige Hallen.
Doch wie konnte ich das möglich machen?
An einem stinknormalen Nachmittag in der Woche?
Einfach von Hannover nach Berlin?
Da warteten doch die Hausaufgaben und der Alltag!
Und doch: Ich wollte das unbedingt!
„Was wenn wir Mathe im Zug machen? Auf dem Weg dahin, und ich nehme Marten einfach mit? Der liebt doch Zugfahren – und er ist noch nicht zwölf. Er kann kostenlos mit…“
Ich teilte meine Idee mit Marten – und der fing sofort Feuer. Und so starteten wir in unser gemeinsames, kleines Abenteuer – nur dass so Redaktionssitzungen für ein Kind natürlich verdammt langweilig sein können. Also startete Marten seine ganz persönliche Expedition, stromerte durch die Redaktion, fuhr ausgiebig Fahrstuhl (seine damalige Lieblingsbeschäftigung), bekam seinen Lieblingstee Pfefferminze zubereitet, ließ sich die Redaktions-Software erklären und tauchte zum Ende unseres Redaktionsmeetings beseelt wieder auf.
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Ein freies Kind.
Interessant: Wenn ich mir meine kleine Freiheiten gestattete, wurden oft auch deine draus. Also war ich vielleicht doch gar nicht so egoistisch. So, wie die Fahrt nach England nach Devon, zu der du mich begleitetest, extra schulfrei bekamst. Dein Englisch klang danach fast wie das eines Native-Speakers.
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Ein freies Kind.
Und oft wähltest du auch deinen Weg selbst. So, wie du dich für die Ricarda-Huch-Schule entschieden hast.
„In diese Schule will ich, in die Streicherklasse. Und ich will Bratsche spielen. Geige ist mir zu quietschig, und Cello ist mir zu groß.“
Ein musisches Gymnasium. Das wolltest du. Hättest du dich für Kochen, Sport oder Handwerk entschieden – es wäre genauso okay gewesen. Viele Jahre Orchester und Chor. Und jetzt bald – hoffentlich – wenn du die Aufnahmeprüfung schaffst: ein Musikstudium.
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WAGE ES. GLAUBE AN DICH UND DEINE TRÄUME.
Auch wenn du vermeintlich „zu spät“ mit deinem jetztigen Lieblingsinstrument Kirchen-Orgel begonnen hast. Du bist so begabt und talentiert, hast letztes Jahr sogar ein Stipendium bekommen.
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Geh dafür. Wähl nicht die leichtere Variante. Nicht den einfachen Weg. Wähle den Weg, wo es brizzelt. Und ja, du wirst vielleicht auch mal scheitern. Doch wenn du es nicht wagst, wirst du es bereuen, es nicht versucht zu haben.
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Die erste Stufe dazu ist schon gemeistert: Jetzt hast du dein Abitur in der Tasche. Jetzt ein Orientierungs- und Vorbereitungsjahr auf die Musikprüfung an den Hochschulen, durchmixt mit „Work and Travel“.
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Du wirst deinen Weg machen.
Ich bin so stolz auf dich und voller Liebe zu dir,
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PS:
Die Fotos zeigen Marten so ziemlich in der Zeit, in der sich diese Geschichte ereignet hat – und am Tag der Schulentlassung. Beide zur Verwendung autorisiert
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PPS:
Und wenn ich diesen Ratschlag wirklich ernst nehme, dann ist auch für die Zeit, nochmal einige Dinge wirklich zu wagen. Die Dinge, von denen ich bisher dachte, ich sei nicht gut genug, von denen ich aber eigentlich träume.