Das Jahr 2025 beginnt mit einer Paukenschlag-Personalie: Der in der Kritik stehende Journalist Thilo Mischke wird nun nicht, wie ursprünglich geplant und kurz vor Weihnachten angekündigt, ab Mitte Februar 2025 die Moderation des ARD-Kulturmagazins ttt – Titel, Thesen, Temperamente übernehmen.
Was ist geschehen? Was führte zur Revision dieser Personalie?
Eine Podcastfolge von „Feminist Shelf Control & Friends“
An Heiligabend machten mehr als ein Dutzend Kulturschaffende und Autor*innen im Podcast „Feminist Shelf Control“ ihre üppigen Recherchen zu Thilo Mischke öffentlich und begründeten und belegten, warum sich Thilo Mischke ihrer Ansicht nach nicht als ttt-Moderator eignet: Thilo Mischke war mehrfach mit misogynen, sexistischen und rassistischen Äußerungen aufgefallen, veröffentlichte sogar mindestens ein Buch in diesem Duktus mit dem vielsagenden Titel „In 80 Frauen um die Welt“, das allen Ernstes davon handelte, 80 Frauen aus aller HERREN Länder (passt in diesem Fall) „rumzukriegen“ und zu vögeln. Ein Buch voller unappetitlicher Passagen im Dienste einer Rape Culture.
Zwar war dieses Buch bereits 2010 erschienen, doch Thilo Mischke hat sich bisher noch nicht ausreichend davon distanziert, stellte „In 80 Frauen um die Welt“ u.a. noch 2024 als Vorstufe seiner derzeitigen Reportertätigkeit dar und relativierte, Sexismus sei zu dieser Zeit noch kein Thema gewesen. Zur zeitlichen Einordnung: Pussy Riot bspw. startete 2011 mit ihren Aktionen.
Diese und weitere Äußerungen und Veröffentlichungen Mischkes sind in einer über zweistündigen Podcast-Ausgabe „Die Causa ttthilo Mischke“ von Feminist Shelf Control & Friends akribisch und gründlich zusammengetragen. Der Podcast wird gehostet von Rebbeka Endler (Autorin u.a. von „Das Patriarchat der Dinge“) und Annika Brockschmidt, Autorin, Journalistin und Podcast-Produzentin; beigetragen hatten u.a. Mareike Fallwickl (Autorin von „Die Wut, die bleibt“ und „Und alle so still“), die SPIEGEL-Autorin Anja Rützel und viele mehr. Danke für diese gründliche Arbeit, die diesen Stein ins Rollen brachte und dem zahlreiche Medienveröffentlichungen folgten!
Offener Brief im Tagesspiegel
Am Donnerstag dann legten über 100 Kulturschaffende nach und veröffentlichten im Tagesspiegel einen offenen Brief, in dem sie die Kritik an der ttt-Besetzung nochmals bekräftigten und als Konsequenz ankündigten, nicht mehr mit ttt zusammenarbeiten zu wollen, sollte Thilo Mischke Moderator werden – als namhafte Unterzeichnende u.a. mit dabei Margarete Stokowski, Theresa Bücker, Daniela Dröscher, Mareice Kaiser, Raul Krauthausen uvm.
Diesem Druck konnte die ARD nicht mehr standhalten und verkündete gestern Nachmittag, nicht mehr an Thilo Mischke als Moderatoren festzuhalten (Hier die Meldung).
Moderator abgesetzt, Ziel erreicht, alles gut?
Das wäre zu kurz gegriffen. Diese ganze Vorgang ist tragisch; hier tritt so viel Verkrustetes, so viel Bitterkeit zu Tage. Für keinen der Beteiligten ist die Angelegenheit befriedigend:
- Es bleibt offen, warum und wie bei der ARD eine derartige Personalentscheidung getroffen wurde, die wohl auch zumindest innerhalb der ttt-Redaktion umstritten war, wie ein SZ-Artikel nahelegt. Das wirft kein gutes Licht auf die Strukturen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (den wir meiner Ansicht nach gerade in diesen Zeiten so dringend brauchen).
- Die fundierten Recherchen dutzender Kulturschaffender, mit der sie ihre Kritik an der Personalie Mischke vortrugen, werden in der gestrigen Statement der ARD-Programmdirektion nicht Ernst genommen, sondern als „Rufmord“ eines hysterischen Mobs abgetan. Das ist tragisch, wird sie doch von Menschen vorgetragen, von denen sich einige bereits seit Jahren mit diesen überkommenen Strukturen auseinander setzen – bspw. hat Podcast-Host Rebekka Endler mit ihrem Buch „Das Patriarchat der Dinge“ in 2022 ein viel beachtetes Buch veröffentlicht.
- Auch Thilo Mischke (auf diese Weise) zu canceln, ist tragisch. Ja, er hat ein ekliges Buch veröffentlicht. Ja, er hat sich in der Vergangenheit menschenfeindlich geäußert. Und doch hat er auch gute und wichtige Veröffentlichungen vorzuweisen (bspw. die Pro7-Doku „Rechts. Deutsch. Radikal“). Er selbst hat sich bislang noch gar nicht Stellung bezogen. Doch mit einem puren Canceln wird sich nichts ändern; es bedarf eines gemeinsamen Prozesses. Oder? Oder ist es bei dieser Thematik auch so bestellt, dass man mit Misogynen (die sich hartnäckig misogyn geäußert haben) nicht spricht – ebenso wenig wie mit Nazis? Wie kann es uns gelingen, Sexismus und Frauenfeindlichkeit wirklich zu überwinden?
Friedenspfeife am runden Podcasttisch?
Ein Gesprächsangebot gab es übrigens bereits: „Hotel Matze“-Podcaster Matze Hielscher stellte sich in einer Insta-Story an die Seite seines Freundes Thilo Mischke, watschte die Podcastenden rund um „Feminist Shelf Control“ ab – und wollte sich mit einer vermeintlich gönnerhaften Geste als Friedensstifter inszenieren und zu einem „konstruktiven“ Gespräch in seinen Podcast bitten. Wie das gehen kann, wenn vorab schon klargestellt ist, wie die Sympathien verteilt sind, sei mal dahingestellt.
Shame on me? Mein verinnerlichter Sexismus
Mal abgesehen davon, dass es mich anfasst, wie hier viele verbal um sich schlagen (und ich verstehe die Emotionalität der Menschen rund um Feminist Shelf Control, wenn sie weiterhin nicht Ernst genug genommen werden), macht mich die Causa Mischke auch auf einer anderen Ebene persönlich betroffen: Ich muss gestehen, ich selbst hätte die Personalie rund um Mischke einfach interessiert und neugierig hingenommen. Ich hatte bisher vor allem Thilos jüngere Reportagen wahrgenommen und geschätzt. Ich hatte sogar von seinen früheren Buchveröffentlichungen gehört, doch sie vor mir selbst bisher marginalisiert. So funktionieren, so tief greifen also patriarchale, sexistische Muster. Immer noch & bis jetzt. Auch bei mir, die selbst der Gruppe der Diskriminierten und Objektifizierten angehört. Krass!
Auch deshalb ein großes Danke an alle Beteiligten, die in der Causa Mischke für Aufklärung sorgten. Da neige ich schon wieder dazu, mich zu schämen, dass ich bisher so naiv und unbedarft damit unterwegs war. Doch halt: Statt dessen verspüre ich nun eine befreiende Dankbarkeit für diese neue Perspektive. Die Scham darf auch hier mal die Seite wechseln.