Vor allem in den vergangenen beiden Jahren standen auch „die (Mainstream-)Medien“ und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Kritik, sie würden zu einseitig berichten. Sie seien „gekaufte Hofberichterstatter“ hörte ich erst neulich jemanden sagen. Keine Frage: NATÜRLICH gibt es „gekaufte Berichte“; es gibt Medienkonzentration (Madsack, Springer, Bertelsmann, Gruner + Jahr und Co.); vor allem gibt es die BILD und die Regenbogenpresse. Ja, es gibt sie, diese schwarzen Schafe und Nestbeschmutzer*innen. Das will ich gar nicht schönreden. Nestbeschmutzung  gibt es überall. Doch damit gleich eine ganze Branche – also zumindest die Branche der „etablierten Medien“ – zu diskreditieren, Journalist*innen als „behäbige, systemkonforme Sesselpupser“ herabzusetzen, die nur fette Kohle einstreichen, eine ganze Branche unter Generalverdacht zu stellen – das geht eindeutig zu weit. Und es ist auch nicht richtig. Diese Lagerbildung in GUT und BÖSE ist schon lange nicht mehr zeitgemäß.

Denn: Qualitäts-Journalismus ist so vielseitig wie noch nie

Es gibt so, so viele differenzierte, fundierte und facettenreichen Medien unterschiedlichster Gattungen, die auf eine so großartige und bereichernde Art und Weise informieren, Geschichten erzählen und zur (Meinungs-)Bildung beitragen, dass ich sie nicht missen mag. Diese Medien werden gemacht von gut ausgebildeten, versierten Menschen, die ihr Journalismus-Handwerk verstehen. Es sind unsere Mitmenschen, sie machen diese wichtige Arbeit für uns – wie auch Du sicherlich einen wichtigen Part in unserer Gesellschaft einnimmst.

Auch die Berichterstattung über Covid-19 ist vielseitig

Übrigens: Auch in punkto Corona-Berichterstattung machen sie ihren Job richtig gut, wenn Du es auf diesen Punkt beziehen magst. Hier wird wahrlich nicht nur „die eine Wahrheit“ transportiert und weitere Sichtweisen totgeschwiegen. Wenn Du Dich wirklich auf „die (Mainstream-)Medien“ mit ihrem reichhaltigen Angebot einlässt, wird Dir das nicht verborgen bleiben.

„Ich bin nicht geimpft“, titelte etwa der Stern in Ausgabe 42/2021 und gab Menschen, die sich nicht impfen lassen möchten, mit ihren Beweggründen Raum, ohne ihr Sichtweise zu bewerten oder gar zu verurteilen, sondern einfach, um auch diese Haltung mit ihren Argumenten begreifbar zu machen. Über das Thema Corona wurde und wird fundiert und detailliert und viele Perspektiven aufzeigend berichtet. Da ist keine „gesteuerte Systempresse“ erkennbar. Bitte schau hin, bevor du vorschnell (ver)urteilst.

Doch nicht nur, was Corona angeht, auch in vielen anderen Themenbereichen bin ich den tausenden Journalist*innen der angeblichen „Systemmedien“ dankbar, die ihren Job so fantastisch machen und damit unseren Blick auf die Welt weiten.

Zum Beispiel das Buch „Drecksarbeit“

Dazu mag ich dir ein prägnantes Beispiel geben: „Drecksarbeit. Geschichten aus dem Maschinenraum unseres bequemen Lebens“ heißt das aktuelle Buch des Journalisten Jan Stremmel, der u.a. als Reporter für das ProSieben-Magazin „Galileo“ tätig ist.[1] Das Buch versammelt Reportagen aus der ganzen Welt, die begreifbar machen, unter welch widrigen Umständen die Produkte hergestellten werden, die unser bequemes Leben ermöglichen. Es gäbe dieses Buch wohl nicht ohne die „Grundfinanzierung“, die Jan Stremmel durch einige „Mainstream-Medien“ (bspw. ProSieben und die Süddeutsche Zeitung) erhält. Das ist so kostbar. Ich bin sehr dankbar dafür!

Der Journalismus für die Welt von morgen ist heute schon da

Dies ist nur ein einziges, kleines Beispiel, das zeigt, wie fundierte Recherchen, das Gespür für gute und gehaltvolle Geschichten sowie das Vermögen sie aufzuschreiben und mediengerecht-zeitgemäß zu publizieren, imstande sind, Impulse zu setzen, unsere Welt (zum Besseren hin) zu verändern. Sie schaffen damit einen Nährboden von unschätzbarem Wert. Journalist*innen, Autor*innen, Medien-Macher*innen mit diesen Fähigkeiten werden so sehr gebraucht, um die Welt von morgen zu erschaffen.

Journalist*innen als Gatekeeper

Außerdem: Aus dem Dickicht der unzähligen Informationen, die heute auf uns einprasseln, vermögen diese Journalist*innen die essentiellsten herauszufiltern und für uns in verdaubaren Häppchen aufzubereiten. Weil sie das gelernt haben. Wie ein Klempner sich um „Gas, Wasser, Scheiße“ kümmert, kümmern sich Journalist*innen darum, Nachrichten zu produzieren. Keine Frage: In Zeiten der Informationsflut wird diese Aufgabe immer herausfordernder. Gerade deshalb werden auch diese Kompetenzen so sehr gebraucht. Kleines Fachchinesisch: Journalist*innen sind Gatekeeper, d.h. sie filtern und essenzieren. Deshalb berichten sie eben nicht über alles. Und das ist gut so. Als Bürger*in musst Du deshalb nicht selbst zum Journalisten, zur Journalistin werden, Du darfst diese Nachrichten genießen, kritisch genießen, Dich informieren, Fragen stellen, Antworten finden. Es braucht dafür erstens: Dein Vertrauen und zweitens: Deinen kritischen, wachen Geist.

Demokratie und Wohlstand ermöglichen Qualitäts-Journalismus.

Daraus entspringt Verantwortung.

In diesem Land, in dem wir leben dürfen, haben wir in den vergangenen Jahrzehnten die idealen Rahmenbedingungen geschaffen, die es braucht, damit journalistische Arbeit richtig gut gemacht werden kann. Wir leben in einer – bis jetzt, hoffentlich bleibt es so – stabilen Demokratie, genießen Meinungsfreiheit  – und auch den Wohlstand, um die Medienlandschaft immer weiter zu entwickeln. Hier muss niemand Angst haben, seine-ihre Geschichten zu verbreiten; hier sind auch die finanziellen Gegebenheiten und weitere Ressourcen da. Wir sind so frei, wir sind so reich. Dafür dürfen wir dankbar sein, und es wertschätzen, bewahren und vor allem: nutzen. Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Daraus entspringt die Verantwortung, dies zur Transformation und für den Kulturwandel zu nutzen. Die gute Nachricht: Das passiert bereits.

(Konstruktiver) Journalismus inmitten des Kulturwandels

Ich feiere die Arbeit so vieler weiterer Journalist*innen und Autor*innen, die sich darum verdient machen, uns konstruktiv zu informieren und weiterzubilden und dafür immer neue, attraktive Formen finden, die es möglich machen, diese komplexe Welt besser zu verstehen. Die die Medienlandschaft weiterentwickeln, denn ja: auch sie ist inmitten eines Kulturwandels.

Zum Beispiel „Deutschland 3000“, „Jung & naiv“ und „Perspective Daily“

Da ist zum Beispiel eine Eva Schulz mit ihrem Podcast „Deutschland 3000“, den es ohne eine „öffentlich-rechtliche Finanzierung“ vielleicht nicht gäbe. Sie ist eine der Journalist*innen, die für das deutsche Online-Content-Netzwerk funk im Auftrag von ARD und ZDF Formate entwickeln und publizieren, die sich an jüngere Menschen richten. Die „Öffentlich-rechtlichen“ machen also weit mehr als nur Radio und Fernsehen.

Doch auch ohne das Dach der öffentlich-rechtlichen Rundfundanstalten haben sich in den vergangenen Jahren Medien und Formate etabliert, deren Angebote ich nicht mehr missen möchte. Da ist bspw. ein Tilo Jung mit all seinen Angeboten rund um „Jung und naiv“. Gerade in den vergangenen Wochen habe ich mir immer mal wieder das eine oder andere Interview angehört – insbesondere die Interviews mit dem Soziologen Andreas Kemper zu antidemokratischen Tendenzen in der AfD: wirklich erhellend – und wichtig!

Auch mit Perspective Daily hat sich vor einigen Jahre in Deutschland das erste Online-Magazin für konstruktiven Journalismus etabliert, das unsere Medienlandschaft bereichert. Und so könnte ich noch hunderte Medien mehr aufzählen, die in diesem Sinne unterwegs sind. DAS sind für mich Medien, die Alternativen aufzeigen und die Welt von morgen mit bauen. [2]

Auch die „klassische Systempresse“ mischt mit:

Happy birthday, SPIEGEL – auch ein Hoch auf die „klassische Systempresse“

Am heutigen 04. Januar 2022 feiert der Spiegel sein 75-jähriges Jubiläum. Ja, er feiert sich. Mit Recht. Aber eben nicht nur. Die Macher*innen des SPIEGEL lassen sich auch kritisieren, etwa für die Relotius-Affäre vor drei Jahren oder aber dafür, dass der SPIEGEL lange Jahrzehnte ein Magazin war, das mehrheitlich von „alten, weißen Herren“ produziert wurde, das „im Diversitätscheck durchgefallen“ wäre – und noch immer dabei ist, im Hinblick auf Diversität und Geschlechtergerechtigkeit seine Hausaufgaben zu machen. Ich finde, der SPIEGEL ist nach wie vor eines der Magazine, die unsere Medienlandschaft enorm bereichern und prägen. Auch heute noch. Republik 21, die Serie, mit der der SPIEGEL den letztjährigen Bundestagswahlkampf begleitet hat, zeigt, wie interaktiver, konstruktiver und zukunftsweisender Journalismus funktionieren kann.

Appell eines Anchormans: Bitte schenkt (wieder) Vertrauen

Schließen möchte ich mit einigen Worten aus der letzten Abmoderation des ZDF-Anchorman Claus Kleber, der vor einigen Tagen als Nachrichtensprecher beim heute journal aufgehört hat. Sie haben mich sehr bewegt. Bitte schau Dir die Abmoderation an, wenn Du magst (hier ist sie nochmal verlinkt). Wenn Du seine Worte hörst, sieh in Claus Kleber den Menschen und in ihm die vielen tausend Journalist*innen, die genauso integer, kompetent, leidenschaftlich und eben auch menschlich und damit nicht frei von Fehlern unterwegs sind wie Du und ich.

Claus Kleber sagte:

„Die Pandemie lässt viel Leid zurück, aber das wird vorüber gehen. Anderes nicht … Die europäische Idee, die ihren Schwung verloren hat, wie auch Manches bei uns. Das müsste alles nicht sein. Wir haben das Wissen, die Technik, die historische Erfahrung, um das alles zu meistern. Zum ersten Mal sind unsere Werkzeuge so mächtig wie unsere Probleme. Das kann was werden.

Aber ohne eine engagierte, informierte Öffentlichkeit wird das nichts. Und deshalb muss es Redaktionen geben wie die Menschen hinter dieser Sendung. Leidenschaftliche Profis, die jeden Morgen antreten können mit dem einzigen Ziel, die bestmögliche Sendung zu machen. Furchtlos, ohne Quotendruck und abgeschirmt gegen politische Strippenzieher.

Ein tolles Team, und das ist da. Aber das nützt nichts, wenn wir Sie nicht überzeugen können. Das hier ist alles ein bisschen Videozirkus, wenn Sie sich nicht die Zeit und die Mühe nehmen, sich mit unserer Arbeit zu beschäftigen, engagiert und kritisch mit dem Vertrauen, das wir uns hier jeden Tag verdienen müssen.“

Eine neue Chance für die (Mainstream-)Medien

Also, komm: Bitte gib auch den (Mainstream-)Medien (wieder) eine Chance. Die meisten von ihnen machen ihre Sache richtig gut. Sie erfüllen eine wichtige Aufgabe in dieser so herausfordernden Zeit. Sie manipulieren nicht und machen dich nicht zum „Schlafschaf“. Im Gegenteil: sie unterstützen uns in diesen komplexen Zeiten dabei, den Blick zu weiten, geben Orientierung und schaffen durch ihr Vermögen, Themen zu strukturieren und Geschichten zu erzählen, die Möglichkeit, Themen tiefer zu ergründen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Bitte reiche ihnen Deine Hand.

 

[1] Danke auch an die Influencerin Louisa Dellert für ihre Podcastfolge mit einem Interview mit Jan Stremmel – ohne sie wäre ich nicht auf das Buch gekommen.

[2] Einige Medien jedoch, die sich gemeinhin als „die alternativen Medien“ bezeichnen und sich derzeit als zensiert inszenieren (wie etwa Ken FM, RT Deutsch oder auch Rubikon), gehören für mich nicht dazu. In Teilen operieren diese mit Fake News, Spaltung, Hetze – eben antidemokratisch. Doch dazu äußere ich mich in einem anderen Artikel.

 

PS:

Dieser Artikel ist gewissermaßen eine Fortschreibung des Kapitels „Plan B und Perspective Daily – Konstruktiver Journalismus als Wegbereitung“ aus meinem Buch MAKE WORLD WONDER. Wenn du dich für das Buch interessierst, kannst du es gern beispielsweise hier erwerben.